In Odessa steht auf dem höchsten Platz der Altstadt die lutherische St.-Paul-Kirche.
Bereits seit 1827 stand dort eine Kirche, die 1897 im neuromanischen Stil erweitert und fast neu errichtet wurde. 1937erfolgte die Enteignung durch die Politik Stalins. Die Kirche wurde als Fernsehstudio und Turnhalle zweckentfremdet und verfiel. Der Sprengung entging sie 1965 nur, weil sich Studenten auf die Kirchenstufen setzten. Mit dabei war Jurij Dickij, der als Student der russischen Kulturministerin in Moskau persönlich einen Protestbrief prominenter Künstler und Architekten aus Odessa für den Erhalt der Kirche überreichte. Der Einsatz hatte Erfolg und erste Maßnahmen zum Wiederaufbau wurden durchgeführt. Doch eine Brandstiftung machte die Kirche vollends zur Ruine ohne Fenster und Dach.
Nachdem das Gelände mit der Ruine wieder der Kirchengemeinde zurückgegeben wurde, konnte
ernsthaft an die Restaurierung gedacht werden.
Die Bayer. Landeskirche, namentlich OKR i.R. Roepke, trieb den Plan zum Wiederaufbau voran. Das Baureferat der Lutherischen Kirche in der Ukraine plante und zahlreiche Geldgeber von Landeskirche über Auswärtiges Amt, Martin-Luther-Verein, Lutherischem Weltbund und vielen Einzelpersonen gelang der finanzielle Kraftakt. Die Orgel kam aus der Nürnberger Kreuzkirche, die Bänke aus Augsburg St. Ulrich, das große Kreuz an der Altarwand aus Wenzenbach und die beiden barocken Figuren von Petrus und Paulus aus dem Diözesanmuseum Regensburg. Den Gemeinden aus dem Regensburger Dekanat gelang es mit ihren Spenden die Andachtsecke mit Ikone und Kerzentisch zu sponsern. So erinnert dieser Platz in der Kirche an die Partnerschaft zwischen der Gemeinde Odessa und den Dekanat Regensburg. Die größte Glocke stiftete die Stadt Regensburg, die Partnerstadt von Odessa.
Dieser Wiederaufbau erscheint wie ein Wunder angesichts der enormen finanziellen, bautechnischen und organisatorischen Schwierigkeiten.
Der 16. April 2010 war für die Gemeinde ein großer Tag: die wieder errichtete Kirche St. Paul konnte geöffnet und am folgenden Tag eingeweiht werden. Odessa hat ein neues Wahrzeichen und Prof. Jurij Dickij hatte Tränen in den Augen: „Der Tag der Einweihung ist für unsere ganze Stadt ein Festtag".
Der Kirchenraum wurde vom Künstler Tobias Kammerer aus Rottweil/Württ. gestaltet. Glasfenster, Bemalung von Decke und Apsis, Kanzel, Taufstein und Altar, Paramente, Kerzenleuchter und Andachtsecke wurden von ihm entworfen und zum großen Teil auch selbst gefertigt. Drei Stunden lang führen die jungen Damen rund 1500 Besucher durch die neue Kirche und bringen ihnen die Eigenart eines evangelischen Gotteshauses und die Botschaft der Kunst nahe. Hinterher sind sie erschöpft und heiser, aber glücklich.
Das Festwochenende war reich an Höhepunkten. Die Schlüsselübergabe, die Kirchenführungen, die Orgelweihe und das erste Orgelkonzert gemeinsam mit dem Münchener Bach-Trompeten Ensemble, die Einweihung im Beisein des Dt. Botschafters der Ukraine und des Bürgermeisters von Odessa, der erste Abendmahlsgottesdienst der Gemeinde und das große Kirchenkonzert mit Chor und Orchester des Bayerischen Hauses. Johann Sebastian Bachs „Magnificat" und „Ein feste Burg" erklangen in der überfüllten Kirche und erstmals in Odessa.
Auf Altar und Taufstein legten Besucher dankbar und gerührt Blumen nieder. Rundfunk und Fernsehen berichteten ausführlich von den Feierlichkeiten.
Bis Ende 2010 werden noch die Räume für das Bayerische Haus, die Gesellschaft für techn. Zusammenarbeit (GTZ) und die Deutsche Minderheit fertig gestellt. Sie befinden sich in einem Anbau an die Kirche auf dem Platz des alten Chorraums. Damit entsteht ein Zentrum für kulturelle, wirtschaftliche und soziale Förderung.
Der evangelisch-lutherischen Gemeinde ist zu wünschen, dass das Interesse für ihre Kirche und den evangelischen Glauben weiterhin wächst und die Kirche St. Paul Gottes Frieden in die Stadt trägt.